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Einführung in die medizinische Biometrie – Vorlesung 6

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung
  2. Pharmakokinetik: Absorption, Distribution, Metabolismus und Elimination (ADME)
    • Dosis-Wirkungs-Beziehungen
    • Konzentrationskurven und Absorptionsphasen
    • Halbwertszeit und Clearance
    • Eliminierung ersten und nullten Grades
  3. Pharmakodynamik
    • Rezeptorbindung und Wirkmechanismen
    • Michaelis-Menten-Kinetik und maximale Wirkung
    • Emax-Modell
    • Integrierte PK-PD Modellierung
  4. Klinische und präklinische Studien
    • Dauer und Kosten der Medikamentenentwicklung
    • Phasen klinischer Studien
      • Phase I
      • Phase II
      • Phase III
      • Phase IV
    • Studiendesign und Randomisierung
      • Randomisierte Kontrollstudien
      • Verblindung
      • Blockrandomisierung
    • Kontrollgruppen und ihre Bedeutung
    • Beispielstudien
    • Analysestrategien bei Protokollverletzungen
  5. Statistische Methoden und Power in klinischen Studien
    • Hypothesentests und Signifikanz
    • Fehlerarten und statistische Power
    • Metaanalysen
  6. Toxikologie
    • Definition und Bedeutung
    • Beispiele für Medikamentenskandale
    • Präklinische Untersuchung der Sicherheit
  7. Ethische Überlegungen
    • Verantwortung gegenüber Patienten
    • Blindstudien und ethische Konflikte
  8. Zusammenfassung

Einleitung

Diese Vorlesung behandelt zentrale Konzepte der medizinischen Biometrie mit einem besonderen Fokus auf Pharmakokinetik, Pharmakodynamik sowie die Planung und Durchführung von klinischen und präklinischen Studien. Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis für die Entwicklung, Wirkung und Sicherheit von Medikamenten zu vermitteln sowie die statistischen Methoden zur Auswertung klinischer Studien zu erläutern.

Pharmakokinetik: Absorption, Distribution, Metabolismus und Elimination (ADME)

Dosis-Wirkungs-Beziehungen

Die Dosis-Wirkungs-Beziehung beschreibt den Zusammenhang zwischen der verabreichten Dosis eines Medikaments und seiner pharmakologischen Wirkung.

  • Absorption: Aufnahme des Medikaments in den Blutkreislauf.
  • Distribution: Verteilung des Medikaments im Körper.
  • Metabolismus: Chemische Umwandlung des Medikaments, meist in der Leber.
  • Elimination: Ausscheidung des Medikaments über Niere, Leber oder andere Organe.

Konzentrationskurven und Absorptionsphasen

  • Konzentrations-Zeit-Kurve: Darstellung der Medikamentenkonzentration im Blut über die Zeit nach der Verabreichung.
  • Absorptionsphase: Zeitraum, in dem das Medikament aus dem Verdauungstrakt in den Blutkreislauf übertritt.
  • Eliminationsphase: Abnahme der Konzentration durch Ausscheidung und Metabolismus.

Ein typisches Modell zur Beschreibung der Eliminationsphase ist das folgende:

wobei:

  • die Medikamentenkonzentration zum Zeitpunkt ist,
  • die Anfangskonzentration,
  • die Eliminationskonstante.

Halbwertszeit und Clearance

Halbwertszeit ()

Die Halbwertszeit ist die Zeit, die benötigt wird, um die Konzentration eines Medikaments im Blut um die Hälfte zu reduzieren.

Clearance (CL)

Die Clearance ist das Volumen des Blutes, das pro Zeiteinheit von der Substanz gereinigt wird:

wobei:

  • das Verteilungsvolumen ist,
  • die Eliminationskonstante.

Eliminierung ersten und nullten Grades

Eliminierung ersten Grades

Die Eliminierung ist proportional zur verbleibenden Medikamentenmenge:

Durch Integration ergibt sich:

Eliminierung nullten Grades

Die Eliminierung erfolgt mit einer konstanten Menge, unabhängig von der vorhandenen Medikamentenkonzentration. Beispiel:

  • Verabreichung von 1000 mg, Eliminierung von 200 mg pro Stunde:
    • Nach 1 Stunde: 800 mg
    • Nach 2 Stunden: 600 mg
    • Nach 3 Stunden: 400 mg
    • Nach 4 Stunden: 200 mg
    • Nach 5 Stunden: 0 mg

Beispiel: Bestimmung der Eliminierungsrate

Gegeben:

  • Anfangskonzentration
  • Konzentration nach 6 Stunden
  • Zeitintervall

Berechnung:

der verbleibenden Medikamentenmenge wird pro Stunde eliminiert.

Pharmakodynamik

Rezeptorbindung und Wirkmechanismen

Medikamente entfalten ihre Wirkung, indem sie an spezifische Rezeptoren im Körper binden und biochemische Prozesse auslösen. Die Bindungsaffinität zwischen einem Medikament und seinen Zielrezeptoren beeinflusst die notwendige Dosis für eine gewünschte Wirkung.

Michaelis-Menten-Kinetik und maximale Wirkung

Die Michaelis-Menten-Kinetik beschreibt die Enzymreaktion und kann auch auf pharmakodynamische Prozesse angewendet werden:

wobei:

  • die Reaktionsgeschwindigkeit (Wirkung),
  • die maximale Wirkung,
  • die Michaelis-Menten-Konstante,
  • die Substrat- bzw. Medikamentenkonzentration.

Emax-Modell

Das Emax-Modell beschreibt die Beziehung zwischen der Medikamentenkonzentration und der maximal erreichbaren Wirkung:

wobei:

  • die Wirkung des Medikaments,
  • die maximale Wirkung,
  • die Medikamentenkonzentration,
  • die Konzentration, bei der die Hälfte der maximalen Wirkung erreicht ist,
  • der Steigungsfaktor (Affinität).

Für ergibt sich das Grundmodell:

Integrierte PK-PD Modellierung

Integrierte pharmakokinetische-pharmakodynamische (PK-PD) Modelle ermöglichen die Vorhersage der Medikamentenwirkung zu jedem Zeitpunkt, jeder Dosis und jeder Verabreichung. Dies unterstützt die Bestimmung der optimalen Dosis und die Optimierung des Studiendesigns.

wobei die Plasmakonzentration des Medikaments ist.

Klinische und präklinische Studien

Dauer und Kosten der Medikamentenentwicklung

  • Dauer: In der Regel zwischen 10 und 15 Jahren.
  • Kosten: Median der Investitionskosten liegt bei etwa 985,3 Millionen USD (Wouters et al., 2020, JAMA).

Präklinische Studien

Präklinische Schritte der Medikamentenentwicklung

  1. Krankheitsprozess verstehen
  2. Potenzielle Zielstrukturen für die Medikamentenentwicklung identifizieren
  3. Wirkstoffe identifizieren, die die Zielstruktur beeinflussen
  4. Präklinische Studien zur Untersuchung der Wirksamkeit und Sicherheit, einschließlich Karzinogenität, Mutagenität und Teratogenität
  5. Klinische Studien konzipieren, um Wirksamkeit und Sicherheit zu untersuchen
  6. Pharmazeutische Darreichungsform bestimmen und den potenziellen Herstellungsprozess beschreiben

Pharmakokinetik in präklinischen Studien

  • Therapeutischer Bereich: Definiert als der Konzentrationsbereich, in dem ein Medikament wirksam ist, ohne toxisch zu sein.
  • Bioverfügbarkeit (): Anteil der verabreichten Dosis, der die Blutbahn erreicht.

wobei:

  • der Salzfaktor ist.

Ausscheidung

  • Ausscheidung durch ein einziges Organ:

wobei:

  • der Blutfluss (mL/Minute),
  • das Extraktionsverhältnis ist.

Klinische Studien

Phasen klinischer Studien

Phase I

  • Ziel: Untersuchung von Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Toxizität.
  • Teilnehmer: Normalerweise gesunde Freiwillige.
  • Arten:
    • First in Man: Beginn mit geringen Dosen.
    • Dose Ranging: Bestimmung der optimalen Dosierung.
    • Interaktionsstudien: Untersuchung klinisch relevanter Interaktionen.
    • Sicherheitsstudien: Untersuchung spezifischer Risiken (z.B. Verlängerung des QT-Intervalls).

Phase II

  • Ziel: Proof of Concept – Untersuchung der Wirksamkeit bei Patienten.
  • Teilnehmer: Patienten mit der zu behandelnden Erkrankung.
  • Arten:
    • Pilotstudien: Erste Hinweise auf Wirksamkeit und Sicherheit.
    • Dose-Response-Studien: Bestimmung der wirksamsten Dosis.

Phase III

  • Ziel: Bestätigung der Wirksamkeit und Überwachung von Nebenwirkungen in großen Patientengruppen.
  • Teilnehmer: Große Anzahl von Patienten, oft mehrere tausend.
  • Ziel: Nachweis der Überlegenheit gegenüber bestehenden Therapien oder Placebo.

Phase IV

  • Ziel: Post-Marketing-Studien zur Langzeitüberwachung.
  • Teilnehmer: Allgemeine Bevölkerung.
  • Ziel: Überwachung von Langzeitwirkungen und seltenen Nebenwirkungen nach der Zulassung.

Studiendesign und Randomisierung

Randomisierte Kontrollstudien

  • Definition: Studien, bei denen Patienten zufällig in Behandlungs- und Kontrollgruppen eingeteilt werden.
  • Ziel: Minimierung von Bias und Sicherstellung der Vergleichbarkeit der Gruppen.

Verblindung

  • Einfachblind: Nur der Patient weiß nicht, welche Behandlung er erhält.
  • Doppelblind: Sowohl Patient als auch Forscher wissen nicht, welche Behandlung verabreicht wird.
  • Offen: Sowohl Arzt als auch Patient wissen, welche Behandlung verabreicht wird.

Blockrandomisierung

  • Definition: Patienten werden in kleine Blöcke einer fixen Größe eingeteilt, wobei innerhalb jedes Blocks gleich viele Patienten auf die Therapiegruppen verteilt sind.
  • Ziel: Sicherstellen, dass nach einer gewissen Zeit in allen Behandlungsgruppen etwa gleich viele Patienten sind.
  • Problem: Bei kurzer Blocklänge kann die nächste Therapie leicht vorhergesagt werden.
    • Lösung: Verwendung verschiedener Blocklängen mit zufälliger Sequenz.

Kontrollgruppen und ihre Bedeutung

Kontrollgruppen sind essentiell, um den Erfolg einer Behandlung über den Vergleich der Zielgrößen zwischen Behandlungs- und Kontrollgruppen zu messen. Ohne Kontrollgruppen können Verbesserungen auch durch natürliche Krankheitsverläufe, Verhaltensänderungen oder Placebo-Effekte erklärt werden.

Beispielstudien

Studie ohne Randomisierung (Gore und Altman, 1982)

  • Design: 10.000 Kinder zur Behandlungsgruppe (Milch), 10.000 Kinder zur Kontrollgruppe (keine Milch).
  • Problem: Kinder aus ärmeren Verhältnissen wurden bevorzugt der Behandlungsgruppe zugeteilt, was zu einer Überschätzung des Behandlungseffekts führte.

Analysestrategien bei Protokollverletzungen

  • Intention to Treat (ITT): Auswertung der Patienten gemäß der ursprünglichen Behandlungszuweisung.
  • As Treated (AT): Auswertung der Patienten gemäß der tatsächlich erhaltenen Behandlung.
  • Per Protocol (PP): Ausschluss aller Patienten, die nicht protokollgemäß behandelt wurden.

Statistische Methoden und Power in klinischen Studien

Hypothesentests und Signifikanz

  • Nullhypothese (): Es gibt keinen Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen.
  • Alternativhypothese (): Es gibt einen signifikanten Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen.

Fehlerarten und statistische Power

  • Typ I Fehler (): Fälschliche Ablehnung der Nullhypothese (falsch positiv).
  • Typ II Fehler (): Fälschliche Annahme der Nullhypothese (falsch negativ).
  • Statistische Power: Wahrscheinlichkeit, einen tatsächlichen Effekt zu erkennen ().

Metaanalysen

  • Definition: Statistische Methode zur Zusammenfassung der Ergebnisse mehrerer Studien.
  • Probleme:
    • Garbage in, garbage out: Qualität der Metaanalyse hängt von der Qualität der eingeschlossenen Studien ab.
    • Heterogenität der Studien: Unterschiedliche Studiendesigns und Populationen können die Vergleichbarkeit erschweren.
    • Publikationsbias: Tendenz, positive Ergebnisse eher zu veröffentlichen als negative.

Toxikologie

Definition und Bedeutung

Toxikologie ist die Wissenschaft von den schädlichen Wirkungen von Substanzen auf den Organismus. Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Bewertung der Sicherheit von Medikamenten.

Beispiele für Medikamentenskandale

Contergan-Skandal

  • Hintergrund: Contergan (Thalidomid) wurde ab 1957 als Beruhigungs- oder Schlafmittel vermarktet und besonders als Beruhigungsmittel für Schwangere eingesetzt.
  • Nebenwirkungen: Häufung von schweren Fehlbildungen bei Neugeborenen, einschließlich des Fehlens von Gliedmaßen und Organen.
  • Folgen: Ende 1961 wurde der Zusammenhang zwischen Contergan und den Fehlbildungen erkannt, und das Medikament wurde vom Markt genommen. Weltweit wurden mindestens 5000 Babys mit Fehlbildungen in Verbindung gebracht.
  • Auswirkungen: Umfassende Änderungen im Arzneimittelrecht und strengere Zulassungsverfahren, die den Nachweis therapeutischer Wirksamkeit und Sicherheit durch kontrollierte Studien erforderten.

Präklinische Untersuchung der Sicherheit

  • Karzinogenität: Untersuchung, ob ein Medikament krebserregend ist.
  • Mutagenität: Untersuchung, ob ein Medikament genetische Mutationen verursacht.
  • Teratogenität: Untersuchung, ob ein Medikament Fehlbildungen bei Neugeborenen verursacht.

Nachweis des Risikos oder der Sicherheit

  • Ziel: Entscheidung, ob ein Medikament sicher, schädlich oder bis zu einer gewissen Dosis sicher ist.
  • Statistische Tests: Formulierung der Nullhypothese als “kein Effekt”. Fehlende Evidenz für ein Risiko ist nicht gleichbedeutend mit Evidenz für Sicherheit.
  • Statistische Power: Ausreichende Power () ist wichtiger als das -Level, um Risiken zuverlässig nachzuweisen.

Ethische Überlegungen

Verantwortung gegenüber Patienten

Die Ethik in der klinischen Forschung erfordert den Schutz der Probanden vor schädlichen Nebenwirkungen sowie die Sicherstellung der informierten Einwilligung, bei der Patienten über Risiken und Nutzen der Teilnahme aufgeklärt werden.

Blindstudien und ethische Konflikte

Blindstudien können ethische Konflikte verursachen, insbesondere wenn Nebenwirkungen die Verblindung gefährden. Strikte Studiendesigns und ethische Richtlinien sind notwendig, um die Integrität der Verblindung zu gewährleisten.

Zusammenfassung

Diese Vorlesung bot einen umfassenden Überblick über zentrale Themen der medizinischen Biometrie, insbesondere in den Bereichen Pharmakokinetik, Pharmakodynamik, klinische und präklinische Studien sowie statistische Methoden und ethische Überlegungen. Wichtige Erkenntnisse umfassen das Verständnis von Medikamentenkonzentrationen und deren Dynamik im Körper, die Planung und Durchführung ethisch fundierter klinischer Studien sowie die Bedeutung statistischer Methoden zur Sicherstellung zuverlässiger Ergebnisse. Die behandelten ethischen Aspekte unterstreichen die Verantwortung der Forscher gegenüber den Patienten und die Notwendigkeit sorgfältiger Sicherheitsprüfungen in der Medikamentenentwicklung.